Wir können es nicht leugnen - wir lieben die blue merle Collies. Für uns ist ein korrekt gezüchteter Collie, der auch den hohen Anforderungen dieses Farbschlages gerecht wird, im wahrsten Sinne des Wortes: die Krönung. Geschichtlich gesehen, sind die Blue merles jedoch mehr als einmal in "schwere Seenot" geraten. Da ist es fast schon ein kleines Wunder, dass wir uns auch heute noch an ihnen erfreuen dürfen. Zeit, sich in groben Zügen, einige Auf und Abs ihrer wechselhaften Karriere vor Augen zu halten.

 

Blue merle ist bei den britischen Hütehunden kein neumodischer oder züchterisch manipulierter Farbschlag. Es ist sogar mit die älteste Fellfarbe dieser Hunde. In allen Teilen Englands, wo sie ehedem ihre Arbeit verrichteten, waren sie anzutreffen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts lief die sogenannte Industrielle Revolution auf Hochtouren. Diese hatte auch Auswirkungen für die Hunde. Immer mehr von ihnen wurden nun regelrecht arbeitslos. Der einst unersetzliche Helfer des Menschen degradierte zum kaum noch beachteten Bauernhofköter. Die betuchteren Stadtmenschen hatten den Hund zwar als "feines Accessoire" für sich entdeckt, aber dazu mußten sich die ausgewählten Exemplare natürlich deutlich vom gewöhnlichen Arbeitshund abgrenzen. Wie aus dem Nichts tauchte 1871 auf der Birmingham National Dog Show der erste langhaarige sable (braune) Collie auf: Old Cockie. Das Überleben des Collies als Familien- und Begleithund war gesichert. Der zu zahlende Preis lag in der Fellfarbe. Die Aufzucht von braunen Welpen boomte, Welpen in den alten Farbschlägen wurden vielfach leichthin aus dem Leben befördert.

 

Den Rettungsanker für die langhaarigen Blue Merles lieferte ein Rüde namens Scot, welcher unverhofft 1876 im Kennel Club Stud Book eingetragen wurde. Tatsächlich gab es noch einige Enthusiasten unter den Hundezüchtern, die den Farbschlag zu retten versuchten. An vorderster Front kämpfte Sir William Arkwright (Scarsdale-Collies). Ihm verdanken wir eine recht gute Beschreibung von Scot:" A light silvery blue, beautifully clouded with black, white collar, face and forelegs bordered by bright red, with one china eye" (china eye = blaues Auge). Er verpaarte Scot mit seiner Hündin Russet. Die daraus resultierende Tochter Blue Stocking wurde mit einem Rüden namens Redbreast verpaart und schenkte Blue Rose das Leben. Jene wurde erneut mit Scot belegt und der Rüde Blue Sky sowie die Hündin Blue Thistle wurden geboren. Blue Sky soll der beste Blue merle seiner Zeit gewesen sein. Die Hündin wurde die Mutter der berühmten Blue Ruin, welche als erste Blue Merle alle anderen Colliefarbschläge auf den Ausstellungen besiegen konnte. 1888 gewann sie sogar die Collie Club Trophy, die Krone aller Auszeichnungen. Eine weitere Tochter von Blue Stocking, namens Blue Belle, brachte den ebenfalls auf Schauen sehr erfolgreichen Blue Bear hervor.

 

Arkwrights Studien und Zuchtprogramme bezüglich der Blue Merles gelten als wegweisend. Ihm zufolge, konnte man gute Blue Merles nur durch eine Verpaarung mit einem Tricolor-Partner gewinnen. Die besten würde man jedoch durch eine Kreuzung von Blue Merle und Black & Tan (schwarz-braun, komplett ohne Weiß-Anteile - ein Farbschlag, der bei den Collies inzwischen verloren ist) erzielen. Den wichtigsten Zuchthinweis lieferte er aber mit der Erkenntnis, dass Merle X Merle Verpaarungen unbedingt vermieden werden sollten, denn sie sorgten für die hochproblematischen reinweißen Collies. Hätten das schon die alten Vieh- und Hundezüchter zu erkennen vermocht, wären viele Würfe bestimmt nicht angesetzt und zum großen Teil wieder vernichtet worden. Endlich hatten die bisher "unberechenbaren Zuchtvorfälle" bei den Collies ihren Schrecken verloren. Umso erstaunlicher, dass es bis heute Unbelehrbare gibt, die einen blue merle Collie generell für ein krankes und Schaden verbreitendes Exemplar halten. Wir kommen darauf zurück.

 

Als Arkwright 1890 seine Züchtertätigkeit einstellte, überließ er Blue Ruin dem Scottish Kennel Club Präsidenten Panmure Gordon. Dieser pflegte engen Kontakt mit dem Amerikaner J.P. Morgan (>>> ColGal - Knight Honour 1) und so trat die Ausnahmehündin ihre weite Reise über den großen Teich an. Auch ihr neuer Besitzer sollte sich über weitere Erfolge freuen und die Etablierung der Blue Merles in den Staaten auf den Weg bringen. England aber hatte einen riesengroßen Verlust zu betrauern, zumal auch noch Blue Ruins Mutter nach einem weiteren Zuchteinsatz verstorben war. Für die nächsten Jahre führten die Blue Merles ein Aschenputteldasein. Kaum ein Vertreter dieses Farbschlages erschien noch auf den Ausstellungen und erneut drohte ihnen der langsame aber stetige Untergang. Die wenigen Züchter, die dem nicht tatenlos zusehen wollten, gründeten im Jahr 1907 den English Rough Blue Merle Collie Club (heute British Collie Club), mit dem Züchter der Yardley-Collies (Mr. Barlow) als Präsidenten. 1910 richtete der Club seine erste Ausstellung in Birmingham aus. Beste Hündin wurde Billesley Blue Blossom, beim anderen Geschlecht siegte ein Rüde namens Typewriter. Nun kannte die Importierwut der Amerikaner keine Grenzen mehr. Es wurden mehr Blue Merles als jeder andere Farbschlag aus England geordert.

 

Dann brach der 1. Weltkrieg mit all seinen schrecklichen Konsequenzen aus. Vielleicht ist es u.a. der eher unbekannten Miss Daisy Miller zu verdanken, dass der langhaarige Blue Merle trotz seiner ganz geringen Zuchtbasis wieder überlebte. Miss Miller besaß einen Knight O'Blue, welcher zwar als "long way removed from being a good Collie, for he had a dense, curly coat, very reminiscent of the old English sheepdog, short tailed" beschrieben wird, aber einige Würfe von exzellenter Farbe gezeugt hatte. In den späten 20er Jahren machten insbesondere das Ehepaar Pyle mit seinen Glenack-Collies, Miss Molony mit ihren Westcarr-Collies und Mrs George mit ihren Beulah-Collies von sich reden. Aber Ende der 30er Jahre hatte selbst der Kennel Club so große Probleme zu bewältigen, dass Ausstellungen nicht mehr stattfanden und die Züchter sich selbst überlassen waren. Als die Ausstellungen 1946 wiederbelebt wurden, waren die Blue Merles fast ausgelöscht und die wenigen, die noch greifbar waren, zeigten eine nahezu traurige Qualität. Miss Molony, Mrs George und Mrs Osborne begannen engagiert mit der Zusammenlegung ihrer Zuchtlinien und sollten mit Würfen belohnt werden, welche Geschichte schreiben würden. 1955 gewann Miss Molonys Westcarrs Blue Minoru die Collie Club Trophy (so wie einst Blue Ruin). Ab dato wurde der Blue merle endlich, was er sich mühsam verdient hatte: eine geschätzte Farbvariante des Collies. Sein Weg war lang und steinig, aber er durfte ihn gehen. Wie würden die Briten sagen? God save the merles!

 

 

In Deutschland waren die Blue Merles noch lange nicht angekommen. Stellvertretend für die ersten zarten Anfänge sei Herr G. Rall (Bienenfleiß-Collies) zitiert: " Zum ersten Mal sah ich einen Blue-merle 1968, einen englischen Importrüden in Schweizer Besitz. Ich konnte einfach nicht verstehen, weshalb ein Hund mit so seltsamer, für mich "falscher" Augenfarbe, gewinnen konnte, und wurde dann vom amtierenden Richter belehrt, daß ich eben keine Ahnung hätte! ... und so begann ich, mich mit der Blue-merle Zucht zu beschäftigen." (aus: 100 Jahre Club für Britische Hütehunde). Einige wenige Züchter taten es ihm gleich, aber insgesamt gesehen blieb der Farbschlag doch der Exot unter den Collies.

 

Mitte der 90er Jahre gerieten die Blue Merles dann bei uns in bedrohlich schweres Fahrwasser. Was war geschehen?! Es waren Studien zu Hunderassen mit Merle- bzw. merleähnlichem Background aufgetaucht, bei denen der Nachwuchs übelste Gesundheitseinbußen an den Tag legte. Dass es sich dabei um Rassen mit künstlich/züchterisch manipulierter Merlierung handelte, wurde als vernachlässigbar heruntergespielt. Dass der Nachwuchs aus Merle X Merle Verpaarungen stammte, wurde als vernachlässigbar heruntergespielt. Dass der Collie nicht unter den Versuchsrassen auftauchte, wurde als ver-nachlässigbar heruntergespielt. Aber um Kübel an Dreck zu verschütten, reichte es allemal. Und dann kam auch noch die deutsche Gesetzgebung ins Spiel. Ein neues Tierschutzgesetz verbot fortan sogenannte Qualzuchten. Was darunter zu verstehen sei, darüber hatten die einzelnen Bundesländer weitestgehende Entscheidungsgewalt. Das Land Hessen gab den Signalschuß ab. Unter Qualzucht sei auch die Zucht mit dem Merlefaktor zu verstehen und wer nach dem 1.1.1995 weiterhin so eine Qualzucht betreibe, könne mit bis zu 50.000 DM Strafgeld belegt werden. Der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) schaltete sich umgehend ein und blue merle Colliezüchter liefen auf die Amtsstuben, um den Beweis zu liefern, dass alle ihre Würfe satzungsgemäß aus Blue Merle X Tricolor Verpaarungen stammten und keine der angeprangerten Schäden aufwiesen. Nach langem Zittern und Bangen wurde der Bann schließlich aufgelöst. Die Blue Merles waren gerettet.

 

Wie unsicher so eine Rettung aber werden kann, sollte sich Jahre später zeigen. Eine nicht dem VDH angeschlossene "Züchterin" hatte aus Amerika einen weißen Collierüden mit Tricolor-Kopf nach Deutschland geholt. Und da sie die Nachfrage nach Welpen selbigen Farbschlages nicht zu erfüllen vermochte, ersann sie einen perfiden Plan. Still und heimlich verpaarte sie Merle X Merle, gab aber den Rüden stets als Vater aus. Zunächst schien sich kaum jemand aus ihren Kreisen daran zu stören, dass der Nachwuchs häufig sowohl in der Augenfarbe wie auch bei der Fellfarbe am Kopf massive Einbußen aufwies. Fast rein weiße Collies redete man sich wohl als besonders gelungene Exemplare schön. Zu groß scheint die Gier nach einem neuen Exot gewesen zu sein. Ganz unbeachtet blieb sie glücklicherweise aber nicht und ihrem Treiben wurde ein Riegel vorgeschoben. Natürlich war das alles wieder Wasser auf den Mühlen der bereits bekannten Blue Merle-Gegner. Alle "Züchter" wurden einfach in einen Topf geworfen und die Hatz keimte erneut auf. Dies war das (vorerst) letzte unschöne Kapitel der deutschen Blue Merles. Aber man weiß ja nie, aus welcher Ecke wieder ein Mensch des Typus "ich weiß alles besser und das auch ganz genau" hervorgekrochen kommt.

***Text (c) Gabriele Bischof***